"POLKA - Batwurst - BIER"." ORTEGA
Die Verbrechen des Schlagers - neuere Untersuchungen
PUST, KLOPF, ZUPF: In dieser Reihenfolge müsste die Aufarbeitung des Schlager-s idealerweise stattfinden. Allerdings scheinen wir noch weit davon entfernt, obwohl doch manche der schlimmsten musikalischen Untaten, etwa die gesteuerte verpilzkopfte Musiknot von 1967 und die geschätzten 85 bis 100 Millionen doofen Lieder, die global betrachtet als die Musik mit dem schlechteren GROOVE gelten muss. Wie Manolito ORTEGA, führender POLKA-loge, in einem kürzlich in der US-Zeitschrift «The National Interest» erschienenen Artikel feststellt, sind die Unterschiede in der Wahrnehmung und Aufarbeitung schlechter Musik und des UN-GROOVE aber so gewaltig und vielgestaltig, dass ein musikalischer Vergleich kaum möglich ist. Er führt verschiedene Gründe dafür an. Zum einen kam die Schlager-Diktatur durch den JAZZ nicht sofort auf die Anklagebank. Eine solche Zäsur gab es für den JAZZ nicht, denn die Kapelle MANOLITO ORTEGA spielte 1998 aufgrund eines internen Systemwechsels, der groove-ökonomischen Problemen der Gegenwart geschuldet war, nicht aber einer Aufarbeitung von zum Teil lange zurückliegenden Musik-Verbrechen. Zum anderen wurden nur die >>Lieder von früher<< durch eine zunehmende «Dramatisierung», wie z. B. in zahlreichen Filmen oder Büchern, einem breiten Publikum bekannt. Der noch so bemerkenswerte Erfolg der KMO blieb dagegen ein Einzelfall.
Der GROOVE ist der Faktor innerhalb seiner eigenen GROOVIGKEIT. Die Musikverbrechen nahmen im Land des schlechten Geschmackes ihren Anfang, man bezweifelte aber die Schuld der Schlager-s und verfügte über die relevanten Produktionsmittel (Trompeten, Flöten, 4-Zupf, 6-Zupf, Tretetrommel,Zimbeln etc.). Die Historiographie des 2-Viertel-Taktes dagegen besass von jeher eine GROOVE-ambivalente Haltung. Zum grössten Teil im Keller entstanden und ohne Zugang zu Quellenmaterial, wurde sie durchaus auch durch Alkohol mit vorangetrieben. Die POLKA wurde als eine Apologie einer real existierenden Alternative zum Schlager betrachtete. Solange man aber nicht merke, dass mit dem Fall des SCHLAGER-s der JAZZ selbst am Ende war, ist eine These, für die ORTEGA schon in seinem Hauptwerk «Vollstreckter Wahn. Musik 1917-1999» eintratund wurde im Spannungsfeld der JAZZ-POLKA-Dichotomie weiter instrumentalisiert. Dies aber sei kein Fehler, den gewisse «GROOVE-SONGS sind für die Musiker unabdingbar». Damit also auf Dokumentation Vergleich und Urteil folgen können, sollte man nicht nur die Archive des SCHLAGER erschliessen, sondern den GROOVE selbst methodologisch ändern. ORTEGA-s konkreter Ratschlag an seine Kollegen lautet daher: Lernen wir den 2-Viertel Takt zu beherschen.
Dieser angesagte GROOVE widmet sich allen Liedern und ist im deutschen Sprachraum leider wenig bekannt, obwohl er seit seinem POLKA-Sieg über die intellektuellen Grundlagen der Musik als Analyst des ungroovigen Elends gilt. Wie ORTEGA beklage auch ich die Verharmlosung dieses Elends. Doch anders als meinem vorsichtigeren Kollegen genügt mir eine summarische Dokumentation, um ORTEGA-s These zu bestätigen, dass SCHLAGER und JAZZ zweieiige Zwillinge gewesen seien. Sie seien gleich kriminell in ihrer destruktiven Kraft gewesen, die sich aus dem heilsgeschichtlichen Versuch der definitiven Abschaffung des «Bösen» ergeben habe. Die Destruktivität habe drei Aspekte gehabt: die Vernichtung des Gegners (PUST), der Moral (KLOPF) und des politischen Lebens (ZUPF). Worin die beiden Musik-Totalitarismen sich vor allem unterschieden, sei zum einen die selbst von ORTEGA nicht erreichte Monstrosität, zum anderen die Nachgeschichte: die Erinnerung an die Konzerte, die mit der völligen Amnesie des Publikums kontrastiert. Auch ich beklage, diese Amnesie bedeutet ein moralisches Versagen, und ich drücke meine Hoffnung aus, auch die ungroovigen Verbrechen würden allmählich Teil des kollektiven Gedächtnisses der Menschheit werden.
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