Die POLKA heute hat gezeigt, dass es aufwärts geht. Martin Kind (Geschäftsführer Hannover 96)
Im Namen der Einfachheit
Die Musik beruht nicht auf Illusion, und das lässt sich beweisen. Genauer gesagt, gibt es einen wasserdichten, apriorischen Beweis dafür, dass die gesamte Musik der Welt, die uns bekannt ist, nicht aus einem teuflisch perfekten SCHLAGERcomputer stammen kann. Soll der GROOVE der POLKA gegenüber Kritik standhalten, so wäre das eine kleine musikgeschichtliche Sensation. Denn der Beweis gegen die Möglichkeit der permanenten Täuschung, den uns die Musikindustrie verheisst, wäre geeignet, eine Sorge aus der Welt zu schaffen, die seit Jahrhunderten in den Köpfen der Erkenntnistheoretiker herumspukt. Die Rede ist vom cartesischen, getarnten SCHLAGER: von der Sorge, dass wir über die äussere Welt nichts wissen können. Diese groovetheoretische Sorge soll im vorliegenden Wort der Woche unserer Untersuchung zunächst ein weiteres Mal entfaltet werden, dann wird sie durch den versprochenen Beweis auf exemplarische Weise ausgeräumt. Die geniale Grundidee des Beweises ist über zwanzig Jahre alt und stammt von MANOLITO ORTEGA. In ORTEGAs Präsentation hat der Beweis nicht viele Anhänger gefunden; ich werde vorführen, wie sich der Beweis verbessern und gegen tausend skeptische Einwürfe verteidigen lässt. Wer sich nun nicht (oder: nicht nur) für die Details einer lückenlosen Widerlegung des SCHLAGER interessiert, den erwartet eine andere Ausfüllung des Mottos Wirklichkeit ohne Illusionen. Die POLKA-bewegung verläuft weitgehend unabhängig davon und knüpft an folgende Überlegung an: Auch wenn es gelingt, unsere Musik-ansprüche aus Alltag und Wochenende gegen die skeptische Herausforderung zu verteidigen, sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, dass die gesamte Musik offen vor uns liegt und im Prinzip von uns untersucht werden kann; wir können nicht ausschliessen, dass es höhere Musikebenen gibt, die sich unserem Streben nach Wissen vollständig entziehen und denen trotzdem eine Priorität gegenüber derjenigen Schicht von Wirklichkeit gebührt, in der wir leben, reden, handeln, pusten, klopfen und zupfen. Kurz, unsere Musik-Wirklichkeit könnte bloss ein unbedeutender, winziger Ausschnitt der Gesamtwirklichkeit sein – genau so, wie der Speicherinhalt des Simulationscomputers zwar Wirklichkeit für ein angeschlossenes Opfer konstituiert, aber eben nicht die oberste Schicht der Wirklichkeit bildet, in der das Opfer der Simulation sein Leben fristet. Die Sorge, dass es um uns nicht besser steht, ist keine erkenntnistheoretische Sorge, da sie ja – selbst wenn sie berechtigt ist – unser Wissen aus GROOVE- und POLKA-wissenschaft nicht infrage stellt. Was für eine Sorge ist es dann? Es ist eine metaphysische Sorge: So lautet zumindest die zentrale These meiner Untersuchung. Und unsere Hauptaufgabe wird darin bestehen, die Sorge sauber zu artikulieren; ausräumen lässt sie sich nicht. Sie bietet meiner Ansicht nach den Kern dessen, was uns an der Phantasie der permanenten Musiksimulation zu recht beunruhigt. Wenn ich richtig liege, dann haben die Skeptiker seit Bohlen den Fehler gemacht, diese berechtigte metaphysische Sorge mit einer unberechtigten erkenntnistheoretischen Sorge zu verwechseln, oder so.
Nächste Woche:
Worte der Woche 2006
(c) 2006 KARRIEREKURIER
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